Im Gespräch mit Volly Tanner

Vol­ly Tan­ner: Guten Tag Franz Sodann. Du bist, wenn ich richtig informiert bin, kul­tur­poli­tis­ch­er Sprech­er der Partei Die Linke im Land­tag Sach­sen, da in Dres­den. Was machst Du denn da genau tagtäglich? Ich hab da nicht wirk­lich ein Bild vor mir von Dein­er Tätigkeit.

Guten Tag Vol­ly Tan­ner. Erst ein­mal freue ich mich, dass mir meine Frak­tion den Posten des kul­tur­poli­tis­chen Sprech­ers anver­traut hat und nicht z.B. das Ressort Finanzen, ich glaube da wäre ich als Schaus­piel­er wohl etwas fehlbe­set­zt. Man soll es nicht glauben, aber so viel wie in diesem fast einen Jahr seit der Wahl hab ich bish­er noch nicht gear­beit­et. Meine Woche begin­nt mit der Fahrt in mein Büro in der Mar­i­an­nen­straße 101 in Leipzig. Da sitze ich dann mit meinen Mitar­beit­ern und wir pla­nen die Woche, welche Außen­ter­mine ste­hen an, bere­it­en die Sitzun­gen im Land­tag vor, Ple­nar­sitzun­gen – Reden müssen geschrieben wer­den, Frak­tion­ssitzun­gen – welche Anträge wer­den gestellt, Arbeit­skreis­sitzun­gen – was ste­ht aktuell zum The­ma Kul­tur zur Debat­te, Auss­chuss­sitzun­gen – wie kann ich unsere Staat­sregierung ein wenig ärg­ern. Dann wird das E‑Mail-Fach geöffnet und, oh Wun­der, es sind schon wieder 40 aufge­laufen und warten auf Beant­wor­tung. Als näch­stes kommt die Post an die Rei­he: Ein­ladun­gen, Anfra­gen, Beschw­er­den und ja, auch Auto­grammwün­sche, sog­ar mehr als zu mein­er Zeit als Schaus­piel­er. Und es ist viel Post. Neulich fand ich allein in einem mein­er Post­fäch­er in Dres­den sage und schreibe 3,5 kg Papi­er (ich hab das gewogen), und es gibt nicht nur ein Post­fach, ins­ge­samt habe ich drei. Damit aber nicht genug, vor kurzem bin ich auch zum Lan­dessprech­er unser­er Arbeits­gruppe Kul­tur gewählt wor­den und in das Kura­to­ri­um des Simon-Dub­now-Insti­tuts für jüdis­che Geschichte und Kul­tur hier in Leipzig. Auch hört die Arbeit damit nicht auf, da ich mir selb­st die Auf­gabe aufer­legt habe, viele poli­tis­che und kul­turelle Ver­anstal­tun­gen, nicht nur in meinem Büro in Leipzig, son­dern lan­desweit zu machen. Diese müssen konzip­iert, geplant und durchge­führt wer­den. All das ist täglich­es Geschäft und abends und am Woch­enende kom­men dann noch offizielle Ter­mine dazu. Auch kann und will ich meinen Wahlkreis und die Vere­ine und Ver­bände in ihm nicht ver­nach­läs­si­gen. Ich denke, soviel zum ersten Abriss mein­er Tätigkeit­en. Das mag für viele sehr trock­en klin­gen, ist es aber mit­nicht­en, und ich kann sagen, es bere­it­et mir, ja Ein­spruch zuge­lassen (ich bin ja erst ein Jahr dabei), sehr viel Freude. Ich komme mit so vie­len Men­schen in Kon­takt, erfahre ihre Geschichte und lerne, lerne, lerne täglich dazu und das ist großar­tig.

Vol­ly Tan­ner: Dein Wahlbezirk ist rund um die Mar­i­an­nen­straße – im Leipziger Osten. Wie bringst Du Dich dort ein? Mit Kind & Kegel leb­st Du ja eher im West­en der Stadt.

Richtig mit mein­er Fam­i­lie lebe ich im Leipziger West­en. Für die Land­tagswahlen 2014 hat mich meine Partei Die LINKE jedoch als Direk­tkan­di­dat für den Wahlkreis im Leipziger Nor­dosten aufgestellt.
Der Wahlbezirk, wie Du in nennst, ist aber viel größer. Er umfasst nicht nur Volk­mars­dorf und Neustadt-Neuschöne­feld rund um die Mar­i­an­nen­straße, son­dern auch Wieder­itzsch, See­hausen, Plaußig-Por­titz, Mock­au-Nord und –Süd, Thekla, Schöne­feld Abt­naun­dorf und Schöne­feld Ost.
Ein wahnsin­nig großes Gebi­et mit 57.700 Wahlberechtigten und gesamt 72.500 Ein­wohn­ern, welch­es in sich nicht unter­schiedlich­er sein kön­nte und wahrlich alle Facetten des Lebens spiegelt. Dass die Eröff­nung meines Wahlkreis-Kul­tur­büros, wie ich es nenne, nun auf die Mar­i­an­nen­straße 101 fiel, lag an den wirk­lich beza­ubern­den Räum­lichkeit­en, welche viel Platz lassen um hier Lesun­gen, Diskus­sion­s­abende, Musik­abende und aller­lei Tre­f­fen stat­tfind­en zu lassen. Jeden let­zten Mittwoch im Monat haben wir eine kul­turelle Ver­anstal­tung. Im Übri­gen bist Du her­zlich ein­ge­laden. Ab Sep­tem­ber bauen wir unser Port­fo­lio aus und wid­men uns auch poli­tis­chen The­men im Diskurs wie Fra­gen zum Asyl, der Stadt­teilen­twick­lung, dem bedin­gungslosen Grun­deinkom­men, der Grund­sicherung und Hartz IV. Auch bieten wir Sozial­ber­atungsstun­den an und darüber hin­aus ste­ht unser Büro jedem offen, der sich hier tre­f­fen will.

Seit dem Wahlkampf im let­zten Som­mer habe ich den Leipziger Osten lieben gel­ernt. Es gibt wohl keinen anderen Bezirk in Leipzig, der sich der­art ver­jüngt und in welchem noch so vieles möglich scheint, da noch nicht alles fer­tig ist. Neuankömm­linge in Leipzig, viele aus anderen Stadt­bezirken ‚auch aus dem West­en und aus dem Süden ziehen derzeit hier­her. Es ist wirk­lich zen­trum­snah, es gibt viel alte Bausub­stanz und die Mieten sind noch erschwinglich, der „Hype“ hat uns noch nicht erre­icht. An allen Eck­en regt sich Neues, entste­hen Wohn­pro­jek­te, gemein­schaftlich genutzte Flächen, Kneipen, Inte­gra­tionspro­jek­te und Kul­tur. In all dem Wach­sen und Urban­isieren sehe ich jedoch auch eine Gefahr und wir müssen auf­passen, dass wir Fehler in der Entwick­lung, welche andere Gebi­ete in Leipzig gemacht haben, ver­suchen zu ver­mei­den.

Vol­ly Tan­ner: Kul­tur­poli­tik ist ja ein heißes Eisen, wir sprachen schon oft darüber. Jet­zt aber mal Tacheles, auch für die Leser­schaften. Eine von staatlichen Almosen abhängige Lit­er­atur kann doch nur, das ist ja des Pudels Kern, staat­snah sein. Dementsprechend ist doch die Frei­heit des Intellek­tuellen, zu denken und zu pub­lizieren, wie er sel­ber denkt, schon allein durch die Form der Zuschüsse geknebelt. Dreht sich da nicht der Wurm im Kreis und beißt sich sel­ber ins Hin­terende. So entste­hen doch keine freien Geis­ter mehr. Wie siehst Du das, wo Du doch da jet­zt im inneren Zirkel Deine Kreise drehst.

Ich ver­ste­he, dass Du Dich auf die Lit­er­atur beziehst, aber in der Kul­tur gibt es ja noch mehr was, um es mit Deinen Worten zu sagen, von staatlichen Almosen abhängig ist, die The­ater, Orch­ester, Museen, Bib­lio­theken, Musikschulen, freie Kun­st- und Kul­turschaf­fende.
Für all Jene gibt es aber in unserem Land erst ein­mal die Möglichkeit der Förderung und das ist gut so. Ich per­sön­lich sehe keine Alter­na­tive darin, Kun­st und Kul­tur dem freien Markt zu über­lassen. Alle Kul­turschaf­fend­en müssen von ihrer Arbeit leben und am meis­ten Geld ver­di­ent, wer gefällt und damit schafft man eben auch keine freien Geis­ter. Selb­st Goethe wurde gefördert. Geben wir nun all dies auf und ver­wirtschaften wir unsere ideellen Werte à la USA, gewin­nt der Main­stream und wir find­en uns im Zuge der Glob­al­isierung im Ein­heits­brei des Mas­sen­geschmacks wieder. Deswe­gen sage ich: Augen auf bei den TTIP Ver­hand­lun­gen, Kun­st und Kul­tur sind keine Han­del­swaren.
Kri­tisch sehe ich die zum Teil schwieri­gen Förderkri­te­rien der Kul­turver­bände und Lan­dess­tiftun­gen, bei denen von den Antrag­stellern immer die Ein­wer­bung von Drittmit­teln einge­fordert wird. Auch das beschnei­det die kün­st­lerische Frei­heit, daher bin ich auch vehe­ment für eine 100%ige Förderung freier Pro­jek­te.
Kun­st und Kul­tur verbinden, inte­gri­eren und schaf­fen Iden­tität, zeigen Wege für Neues, kri­tisieren Beste­hen­des. Fördern wir sie weit­er, bess­er und acht­en sie.

Vol­ly Tan­ner: Wo siehst Du Dich in zehn Jahren? Immer noch in der Poli­tik, dann im Bun­destag – oder wird es in zehn Jahren das Konzept Parteien­demokratie gar nicht mehr geben oder was denkst Du ganz konkret?

Solange wir den Schritt weg von der derzeit­i­gen Entwick­lung zum Homo Oeco­nom­i­cus hin zum Homo Sapi­ens Sapi­ens nicht gehen und uns des Begriffes als würdig erweisen, glaube ich nicht an ein sich selb­st ver­wal­tendes Volk. Und wo ich mich in 10 Jahren sehe, tja vielle­icht auf ein­er son­ni­gen griechis­chen Insel, umringt von Fre­un­den und Fam­i­lie. Vielle­icht in der Kul­tur, vielle­icht in der Poli­tik, vielle­icht als Züchter ein­er Marienkäfer­farm. Ich plane nicht, bin aber immer neugierig und offen. Wenn Auf­gaben auf mich zukom­men, ergreife ich die Chan­cen. Lei­den­schaft, Vor­bere­itung und etwas Mut gehören freilich dazu.

Vol­ly Tan­ner: Nun ist Die Linke ja nicht an der Regierung. Und schein­bar wird’s in den näch­sten Jahren auch nicht wirk­lich etwas, der Sachse ist ja ein Gewohn­heit­sti­er und hat sich nach 40 Jahren SED nun schon 25 Jahre CDU selb­stmedika­men­tiert. Was kannst Du über­haupt in Dres­den aus­richt­en im Bere­ich Kul­tur?

Da kann ich nur sagen „steter Tropfen höhlt den Stein“. Wenn wir als Oppo­si­tion nicht immer wieder den Fin­ger in die Wunde leg­en, passiert gar nichts und Wirtschafts­dik­tat und Vere­inzelung nehmen zu. Dann hät­ten wir heute nicht den Min­dest­lohn, welchen wir schon 2002 gefordert haben, nun schreiben sich den Erfolg andere Parteien auf ihre Fahne. So geschieht es mit vie­len unser­er Ideen. Vielle­icht hat Erich Käst­ners „Labude“ in seinem Roman für Erwach­sene „Fabi­an“ ja recht:

»Die Vernün­fti­gen wer­den nicht an die Macht kom­men«, sagte Fabi­an, »und die Gerecht­en noch weniger.«
»So?« Labude trat dicht vor den Fre­und und pack­te ihn mit bei­den Hän­den am Man­telkra­gen. »Aber soll­ten sie es nicht trotz­dem wagen?«

Oppo­si­tion belebt das Geschäft, kann Falsches aufzeigen und laut artikulieren. Man darf den Mut nicht ver­lieren und muss eben immer wieder für seine Überzeu­gun­gen kämpfen, ganz gewaltig auch für die Kul­tur, die ja „nur“ eine frei­willige Auf­gabe des Staates ist. In Anbe­tra­cht viel­er ander­er „Baustellen“ über­sieht man leicht, wie wichtig Kun­st und Kul­tur für ein friedlich­es, tol­er­antes, zukun­fts­fähiges und sinns­tif­ten­des Zusam­men­leben sind. Wenn ich es denn im Wirtschaft­s­jar­gon sagen muss, damit auch die CDU es ver­ste­ht, dann beze­ichne ich Kul­tur eben nicht als weichen, son­dern als knall­harten Stan­dort­fak­tor. Das gilt für alle, für Man­ag­er wie für Hartz‑4 Empfänger, für Polizis­ten, Recht­san­wälte und Asy­lanten. Kul­tur verbindet. Das lohnt sich, zahlt sich sog­ar aus. Und das muss gewagt wer­den. Wer, wenn nicht wir?

Vol­ly Tan­ner: Danke Franz, ich frage ein­fach immer mal wieder nach.