Die Erinnerung ist eine mysteriöse Macht und bildet den Menschen um. Wer das, was schön war, vergisst, wird böse. Wer das, was schlimm war, vergisst, wird dumm.(Erich Kästner)
Meine Rede zum Antrag “Zukunft Stiftung Sächsische Gedenkstätten” von CDU/Grüne/SPD.
Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen,
vorliegend der Antrag seitens der Regierungskoalition „Zukunft der Stiftung Sächsische Gedenkstätten“. Unfassbar wichtig sich mit der Stiftung und ihrem Werdegang zu beschäftigen, unfassbar aber auch dieser Antrag, mehr Schaufenster ging wohl nicht. Jetzt kommen Sie, da das Kind schon in den Brunnen gefallen ist und die Regierung eh zum Handeln gezwungen ist, mit so etwas um die Ecke und haben es doch, mit Blick in Richtung CDU und SPD seit Jahren verabsäumt strukturell und personell auf die Tätigkeiten und Aktivitäten der Stiftung einzuwirken. Sie haben sich schützend vor die Arbeit des Geschäftsführers gestellt und somit auch vor die desaströse Außenwirkung der Stiftung, den Entwicklungsstillstand, die Schieflage in der Wertigkeit und Umgang mit den Geschichtsepochen, ich erinnere noch einmal: Projektgelder werden zu 80% für die Zeit SBZ/DDR und nur zu 20% für die NS-Zeit ausgereicht.
Die „Gedenkstätten als moderne zeithistorische Museen mit besonderen humanitären und bildungspolitischen Aufgaben“ stehen vor neuen Herausforderungen.
Das trifft insbesondere auf das Gedenken an die Zeit des Nationalsozialismus zu. Die Ära der Zeitzeugen neigt sich dem Ende zu. Mit dem Ende der Zeitzeugenschaft endet das sog. „kommunikative Gedächtnis“, das über selbstverständliches Alltagswissen über Ereignisse und Vorgänge verfügt. Abgelöst wird das „kommunikative Gedächtnis“ vom „kulturellen Gedächtnis“. Das kulturelle Gedächtnis muss ohne Zeitzeugen auskommen aber dafür umso mehr auf die materielle Hinterlassenschaft aus der jüngeren Vergangenheit zurückgreifen.
Um ihren Zweck künftig erreichen zu können, muss die Stiftung eine Antwort darauf finden, wie sie ihre „humanitären Aufgaben — Aufklärung, Erinnerung und Bewahrung — auch ohne Zeitzeugen“ zu erfüllen gedenkt.
Ein konkretes Beispiel möchte ich anführen:
Zu den authentischen Orten der Erinnerung an die NS-Verbrechen gehören die sog. „Frühen Konzentrationslager“. Über Sachsen erstreckte sich, „ein sehr dichtes Netz von Lagern und Schutzhaftgefängnissen“ in „79 Kommunen gab es insgesamt 110 Haftstätten“. „Bis Mitte 1937 waren in den Frühen Konzentrationslagern Sachsens mehr als 30.000 Häftlinge inhaftiert. Dieses dichte Netz bzw. „System der Frühen Konzentrationslager“ war für die Formierungsphase der NS-Herrschaft von großer Bedeutung. Dennoch ist es wissenschaftlich kaum erforscht und in der Öffentlichkeit so gut wie unbekannt. Selbst in der Gedenkpolitik des Freistaates spielen die Frühen Konzentrationslager eine untergeordnete Rolle.
Hier hat die Stiftung ein großes Aufgabenfeld vor sich, das bearbeitet werden muss. Und die Zeit drängt, um die materielle Hinterlassenschaft — soweit sie noch vorhanden ist — zu sichern.
Für die Gedenkstättenarbeit gilt es, neue Formen der Präsentation und der Wissensvermittlung zu finden. Künstlerische Formen der Auseinandersetzung und Wissensvermittlung zum Beispiel. Auch der Einsatz „elektronischer Medien“ wird eine größere Rolle spielen.
Davon, liebe KollegInnen aus den Regierungsfraktionen, ist in dem vorliegenden Antrag keine Rede. Sie bleiben reichlich unkonkret und unverbindlich, Placebosätze reihen sich aneinander und selbst die Begründung Ihres Antrages überholt den Inhalt des herbeizuführenden Beschlusses deutlich, da wird dann nämlich aus einem sollte ein soll.
Angesichts der Herausforderungen für die künftige Gedenkstättenarbeit und in Anbetracht der an die Öffentlichkeit gelangten Querelen in der Stiftung, namentlich die umstrittene Rolle des Geschäftsführers, sind Veränderungen in der Arbeit und Funktionsweise der Stiftung Sächsische Gedenkstätten unumgänglich.
Die im Antrag geforderte „regelmäßige Unterrichtung“ des Landtages über „den Fortgang der Weiterentwicklung der Stiftung“ begrüßen wir ausdrücklich. Schließlich ist der Landtag der Haushaltgesetzgeber der Stiftung. Auf der Basis einer regelmäßigen Berichtspflicht können Öffentlichkeit und Parlament in sinnvoller Weise über den Erhalt einer vielfältigen Erinnerungskultur und Gedenkstättenlandschaft in Sachsen und die Anforderungen an eine moderne Gedenkstättenarbeit diskutieren.
Für die Zukunft der Arbeit der Stiftung sind folgende Kriterien zu klären:
- die gedenkpolitische und die förderpolitische Ausrichtung der Stiftung,
- die Überprüfung der Sachgerechtigkeit der Organisations‑, Personal- und Finanzstrukturen,
- die Arbeit des Geschäftsführers der Stiftung und der Gremien der Stiftung,
- die Verfahren und Kriterien zur Verteilung der Stiftungsmittel,
- die Zusammenarbeit mit bürgerschaftlichen Initiativen und Fördervereinen,
- welche neuen Formen der Präsentation und der Wissensvermittlung nach dem Ende der Zeitzeugenschaft für die NS-Geschichte entwickelt und praktiziert werden können und sollen.
Zunächst jedoch und schnellstmöglich braucht es eine Regelung, die ein erneutes selbstherrliches und autoritäres Agieren wie das von Herrn Reiprich ausschließt. Mit einem personellen Wechsel ist es hier eben nicht getan.
In diesem Zusammenhang bin ich erstaunt über die Geheimniskrämerei, die das Ministerium betreibt, wenn es um die Mitglieder der Findungskommission für den neuen Geschäftsführer bzw. die neue Geschäftsführerin geht? Vielleicht können Sie, Frau Ministerin, ja heute die Namen derer noch nennen, die einen Nachfolger für Herrn Reiprich ausfindig machen sollen.
Ansonsten verwehren wir uns selbstredend einer Verbesserung in der Gedenk- und Erinnerungskultur in diesem Lande nicht und werden Ihrem ungefährlichem Antrag unsere Zustimmung nicht verweigern.
Vielen Dank.